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« Andre Schürrle saß völlig fertig in der Kabine »

Jan Kirchhoff schreibt in seiner Kolumne über Andre Schürrle. Er verrät, wie Schü dank eines Pullovers Kapitän beim 1. FSV Mainz 05 wurde und was ihn mit Arjen Robben verbindet.

 

Liebe Fußball-Freunde,

Nun ist es also offiziell: Andre Schürrle hat mit 29 Jahren seine Karriere beendet – und ich kann das vollkommen verstehen, aber dazu später mehr.

Für mich wird Andre immer einer meiner wichtigsten Mitspieler bleiben. Kennengelernt haben wir uns 2007, Andre kam aus der Mainzer U17 in die U19, ich kam mit drei oder vier Jungs von Eintracht Frankfurt neu in den Verein. Es ist rückblickend ziemlich amüsant, dass wir damals eigentlich Konkurrenten waren. Ich hatte in Frankfurt im zentralen Mittelfeld auf der Zehn gespielt – und das war auch Andres angestammte Position. Von daher haben wir uns in der Anfangszeit schon ein bisschen beäugt. Es hat sich dann aber relativ schnell herausgestellt, dass ich unter unserem damaligen Trainer Jürgen Kramny als Innenverteidiger eingeplant war.

Andre habe ich damals trotz der – letztlich nur vermeintlichen – Konkurrenzsituation auf menschlicher Ebene als ungeheuer offen, freundlich und zuvorkommend erlebt. Zudem war er eben ein unfassbar talentierter Fußballer. Schon nach ein, zwei Trainingseinheiten war mir klar, dass er ein Junge ist, auf den man sich verlassen kann. Andre war unser Go-to-Player. Wenn man nicht genau wusste, was zu tun ist, hat man Andre gesucht. Er hat die Spiele zu unseren Gunsten entscheiden.

Wie Andre Schürrle unter Thomas Tuchel bei Mainz 05 Kapitän wurde

Spätestens im zweiten A-Jugendjahr habe ich gemerkt, dass wir in der Lage sind, im 1990er-Jahrgang den Titel zu gewinnen. Entscheidend dafür war natürlich auch Thomas Tuchel, der 2008 unser Trainer wurde. Wir hatten mit Stefan Bell, Christoph Sauter, Tim Fliess oder Konstantin Fring viele talentierte Jungs, aber Andre war der entscheidende Baustein, der uns ermöglicht hat, so erfolgreich zu sein und der später auch unser Kapitän war.

Rückblickend ist es übrigens durchaus etwas kurios, wie es dazu kam. Ich selbst bin damals als Kapitän in die Saison gegangen, als die erste Mannschaft in der Viererkette plötzlich große Verletzungssorgen hatte. In der Folge durfte ich immer häufiger bei den Profis trainieren und bei der U23 spielen, weil ich mich an den Männerfußball gewöhnen sollte.

Bei einem Rückrundenspiel war ich dann jedenfalls wieder bei der U19, die damals einen anderen Sponsor als die U23 und die Profis hatte. Ich hatte dann bei besagtem Spiel den Trainingspullover mit dem falschen Sponsorenlogo dabei, was Thomas Tuchel unfassbar geärgert hat. Er hat mir dann unterstellt, dass ich Macht demonstrieren und zeigen wolle, dass ich eigentlich schon zur U23 gehöre. So ein Quatsch! Es war einfach ein Versehen, das mir selbst so unangenehm war, dass ich sogar eine Jacke übergezogen habe, damit den Pulli niemand sieht.

Andre Schürrle: Schlüsselspieler beim Gewinn der A-Jugendmeisterschaft

Thomas hat den Fauxpas mit seinem Riecher für die kleinsten Details allerdings trotzdem erkannt und anschließend mit mir darüber gesprochen, ob es nicht besser wäre, wenn Andre das Kapitänsamt übernimmt. Ich habe das grundsätzlich durchaus für sinnvoll gehalten, da Andre im Gegensatz zu mir regelmäßig bei der U19 war.

Andre hat das Kapitänsamt in der Folge super ausgefüllt. Er war vor allem dadurch Kapitän, dass er ein Vorbild war, dass er unfassbar gute Leistungen gezeigt hat. Letztlich muss ich aber auch zugeben, dass es sowohl für mich als auch für Andre damals relativ einfach war, das Amt auszufüllen, weil wir eine wirklich außergewöhnliche Mannschaft mit einem noch außergewöhnlicheren Teamspirit hatten.

Es ist so, dass es im Fußball viele Spieler gibt, die es als cool ansehen, ein bisschen weniger zu machen und so zu tun, als ob sie schon so gut seien, dass sie gar nicht so hart trainieren müssen. Bei uns war genau das Gegenteil der Fall. Es war cool, so hart und so intensiv zu trainieren wie möglich. Es war cool, bei jeder Übung der Beste zu sein – und sei es bei der Koordinationsübung beim Aufwärmen.

Unsere Mannschaft war sozial sehr verträglich, wir hatten eine perfekte Mischung aus Anführern, Arbeitern und Mitläufern. Basierend auf einer von Thomas’ Ideen aus dem Sommertrainingslager hing in der Kabine auf dem Platz jedes Spielers ein Schild, auf dem jene Attribute standen, die einem die Mitspieler zugewiesen hatten. Ich weiß leider nicht mehr, was auf Andres oder meinem Zettel stand, trotzdem ist das Ganze stellvertretend für uns als Team, in dem jeder seine Rolle ganz genau kannte.

In der Saison 2008/09 hat Andre uns schließlich mit 14 Toren in 19 Spielen in die Endrunde um die deutsche A-Jugendmeisterschaft geschossen. Im Halbfinalrückspiel gegen Werder Bremen führte er uns dann nach einem 0:1 im Hinspiel mit seinen beiden Treffern zu einem 3:0-Sieg und damit ins Finale. Und auch da zeigte Andre beim 2:1 gegen Borussia Dortmund mit Mario Götze eine überragende Leistung. Für mich persönlich war es der wahrscheinlich schönste Titel meiner Karriere, der immer ganz eng mit Andre verbunden sein wird.

Andre Schürrle: Bei den Profis auf Anhieb der überragende Mann

Es war auch jene Spielzeit, in der klar wurde, dass Andre eine tolle Karriere hinlegen kann. Er war schon immer drahtig, schnell und ausdauernd, aber zu dieser Zeit wurde er in allen Bereichen immer besser, sodass er in der Lage war, auch in der U19-Nationalmannschaft herausragend zu sein und sofort auf Bundesliga-Niveau eine gute Rolle zu spielen.

Ungefähr zeitgleich mit unserem Gewinn der A-Jugendmeisterschaft ist unsere erste Mannschaft in die Bundesliga aufgestiegen – und in den Vorbereitungsspielen auf die Saison 2009/10 hat man schon gesehen, dass Andre mit seinen Qualitäten eigentlich sofort einen Platz in der ersten Elf verdient hat.

Jörn Andersen wurde dann nach dem verlorenen DFB-Pokalspiel in Lübeck noch vor dem 1. Bundesliga-Spieltag entlassen und durch Thomas Tuchel ersetzt. Thomas hatte dann im Gegensatz zu Andersen sofort den Mut, Andre von Beginn an spielen zu lassen – und wurde schnell belohnt.

Trotz seines jungen Alters war Andre auf Anhieb Stammspieler und Leistungsträger. Wir hatten mit Andreas Ivanschitz oder Aristide Bance auch andere tolle Spieler, aber Andre war der herausragende Mann, der nach dem Aufstieg mit seinen Aktionen und Leistungen dafür gesorgt hat, dass wir mit dem Abstiegskampf zu keinem Zeitpunkt etwas zu tun hatten.

Andre Schürrle: Parallelen zu Arjen Robben

Wenn ich an diese Zeit denke, kommt mir aber vor allem eine Szene in den Sinn: Im Bundesligaspiel gegen Schalke hat Andre in seiner zweiten Profisaison gegen Manuel Neuer einen Elfmeter verschossen und wir haben letztlich mit 0:1 verloren. Ich weiß noch genau, wie er nach dem Spiel völlig fertig in der Kabine saß und versucht hat, sich von uns Teamkollegen zu isolieren. Ich habe ihm dann gesagt: « Andre, Du hast uns vergangene Saison in der Liga gehalten, Du hast in dieser Saison schon wieder viele wichtige Tore geschossen. Nimm Dir das nicht so zu Herzen, das nimmt Dir doch keiner übel. »

Diese Situation war sinnbildlich für Andre. Obwohl er nach außen immer sehr locker wirkt, ist er ein absoluter Perfektionist, der sich eine verunglückte Aktion einerseits sehr zu Herzen nimmt und daraus andererseits den Ehrgeiz zieht, sich immer weiter zu verbessern.

Ich kann mich an viele Tage erinnern, an denen er nach dem Training an seinem Signature Move – dem spiegelverkehrten Arjen-Robben-Lauf nach innen samt Torabschluss ins lange Eck – gearbeitet hat. So hat er seine Schusstechnik signifikant verbessert. Das zeigt auch analog zu Arjen seinen Charakterzug, davon besessen zu sein, alles perfekt machen zu wollen.

Ich selbst war zu dieser Zeit bei den Profis noch nicht wirklich etabliert. Ich hatte zwar erfolgreiche A-Jugendjahre gespielt, aber noch kein Standing in der ersten Mannschaft. Obwohl Andre genauso alt ist wie ich, konnte ich zu ihm aufblicken. Durch seine Arbeitsmoral hat er mir gewissermaßen vorgelebt, wie auch ich meinen Weg zu den Profis gehe, nämlich indem ich an jeder Kleinigkeit arbeite, immer versuche, mich zu verbessern und mich nie zufriedengebe.

Andre Schürrle und der Fluch der guten Tat

Darüber hinaus hatten wir damals auch privat eine tolle Zeit zusammen. Wenn ich an die Partys denke, die wir zusammen gefeiert haben, werde ich fast ein bisschen melancholisch. Da habe ich sofort Andre mit seinem breiten Lächeln vor Augen. Er war eine Frohnatur, die insbesondere mit Lewis Holtby ein lustiges Duo abgegeben hat.

Nachdem Andre 2011 zu Bayer Leverkusen gewechselt ist, haben wir uns leider aus den Augen verloren. Wir haben uns zwar noch ein, zwei Mal gesehen, unter anderem beim UEFA Super Cup 2013 zwischen Bayern und Chelsea, aber eigentlich habe ich seine Karriere anschließend nur noch aus der Ferne verfolgt.

Dass er seine Laufbahn jetzt beendet hat, kann ich auf jeden Fall nachvollziehen. Andre hatte aus sportlicher und schließlich auch aus finanzieller Sicht eine unfassbar gute Zeit, wurde Weltmeister, englischer Meister, DFB-Pokalsieger. Andre ist inzwischen verheiratet und hat eine Tochter.

Wenn man so lange auf einem gewissen Niveau gespielt hat, muss man sich irgendwann die Frage stellen, ob man zulasten der Familie wirklich noch die Lust hat, noch einmal auf anderer Ebene anzugreifen. Ich selbst kenne diese Gedankengänge nur zu gut. Und auch wenn ich mich anders entschieden habe und es mir gewünscht hätte, Andre noch weiter im Profifußball zu sehen, weil er einfach ein überragender Kicker ist, kann ich ihn gut verstehen.

Rückblickend war der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 sicher ein Knackpunkt. Es ist der Fluch der guten Tat, da sitzen Andre und Mario Götze im selben Boot. Das Finaltor gegen Argentinien hat die Erwartungshaltung hervorgerufen, dass die beiden jedes Spiel entscheiden.

Andre Schürrle: Kein Spielertyp wie Sane oder Sancho

Dieser daraus resultierende Druck, die ständigen Schlagzeilen, dieses ewige « wieder nicht gut genug » ist insbesondere für intelligente, sensible und selbstreflektierte Menschen eine unfassbar große Last.

Als ich zuletzt Interviews mit Andre oder Mario gelesen habe, als ich Being Mario Götze bei DAZN gesehen habe, bin ich mehr und mehr zum Schluss gekommen, dass auf medialer Ebene bei den beiden vieles falsch gelaufen ist, was sicher für Frustration gesorgt hat.

Der Anspruch an Andre war schlicht ein falscher. Andre ist ein überragender Teamspieler, der hart arbeitet, unfassbar viel läuft, der gut im Gegenpressing ist, Bälle erobert und einen guten Torabschluss hat. Es kommt nicht von ungefähr, dass er von so vielen Trainern geschätzt wurde, dass er so lange einen Platz in der Nationalmannschaft hatte.

Andre ist aber eben kein Unterschiedsspieler im Eins-gegen-eins wie Leroy Sane. Wenn man diese beiden Spielertypen in einen Topf wirft und von Andre das erwartet, was beispielsweise Jadon Sancho macht, dann wird man enttäuscht.

Insofern sollte uns Andres Entschluss, seine Karriere zu beenden, auch dazu bewegen, darüber nachzudenken, wie eine solche Erwartungshaltung entsteht und wie man gerade mit in der Öffentlichkeit stehenden Menschen umgeht.

Lieber Andre, ich wünsche Dir von Herzen alles Gute für die Zukunft!

Euer Jan!

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